Willi kippt um

Ein unübersetzbares Tortenstück, aber Willi schlägt sich immer noch den Wanst voll. In den Katakomben rumort es: „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ „Wer hat seine Schuhe unter mein Tischlein gestreckt?“ „Wer hat mit meinem Suppenlöffelchen seine Beulen gekühlt?“ Willis Wanst wackelt vor Lachen, Arme und Beine vor Vergnügen in die Luft gestreckt. Die Servierkraft räumt schnell den Tisch ab, mit wenigen Handgriffen faltet sie das Tischtuch vom Tisch herunter, sie kennt Willi und da kippt er auch schon auf den Rücken, wie ein Käfer liegt er der Servierkraft im Weg, sie ruft dem Konditormeister zu: „Jetzt hätt i mi boid dastessn!“ Ein Engerl mit Zahnlücke schwebt aus den Katakomben heraus. Das Engerl streicht Willi die Strähnen aus dem Gesicht und den Wanst glatt, Willi weint und will nie wieder aufstehen. Der Konditormeister holt die frischen Torten aus dem Backofen, der Geruch zieht sich bis in den Gastraum. Das Engerl schwebt zurück in die Katakomben, die Servierkraft hilft Willi auf die Beine.

(Thema: Was einem so einfallen kann)
Markus A. Hediger - 14. Mär, 07:07

Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber

ob dieser Text böse oder einfach nur herzanrührend ist. Versuche ich, mich für eine Lesart zu entscheiden, verliert der Text seine Kraft. Lese ich beide als eine, wird mir das Böse nahe und das Rührende zum Lausbubenstreich. Toll!

ahg - 14. Mär, 08:21

Herzlichen Dank

für diesen Kommentar!
Markus A. Hediger - 14. Mär, 08:37

Liebe Frau Heinisch

Ich beschäftige mich zur Zeit mit Horace Walpole, jenem Mann, der den Begriff "Serendipity" in den englischen Sprachgebrauch einführte. Es gibt da ein wunderbares Buch, das die Geschichte des Begriffs nachzeichnet (ich werde es auf meinem Weblog gelegentlich verlinken): "The Travels and Adventures of Serendipity" von Robert K. Merton und Elinor Barber. Es brachte mich auf diesen Gedanken: Dass ich (und ich meine dies auch bei Ihnen gelegentlich zu entdecken) suchend schreibe und dabei immer wieder über etwas stolpere, das ich nicht gesucht habe. Wenn dies geschieht, bin ich im Glück. (Und ich frage mich, ob es damit zu tun hat, dass ich das Fundstück nicht auf meine Kappe schreiben kann... Das ist schon seltsam: dass ich am glücklichsten bin, wenn mir beim Schreiben etwas zufällt.)

ahg - 14. Mär, 09:02

"Serendipity" ...

... da möchte ich doch gleich hunderttausend Rufzeichen setzen ("lieber Fremdwort als Fremdling")! Und in der Tat: ich habe noch nie einen Text geschrieben, von dem ich vorher etwas wusste. Bilder (auch Sprachbilder), Bewegungen (auch Redewendungen), Namen, ... denen ich dann schreibend nach-zupfe, so arbeite ich. Ich suche also schon etwas, nämlich das, das sich - von mir aber erst im Schreiben zu (er)finden - hinter dem Ausgangsbild so tut.
Bei diesem Text war Ausgangspunkt der Ausdruck "ein unübersetzbares Tortenstück", vor dem ein dicker Mann gesessen ist.
Markus A. Hediger - 14. Mär, 10:16

Das Thema lässt mich nicht los:

(in allem Reorganisationsrummel unserer Firma, behauptet sich standhaft das Wesentliche:) dieser Gedanke: dass "Serendipity" im Grunde das Wesen der Sprache ist: dass es ihr zutiefst zuwider ist, in geraden Bahnen zu verlaufen; dass sie ausbrechen will, um sich zu suchen, und dabei das entdeckt, wovon sie noch keine Ahnung hat. Und wir - uns bleibt nur die Aufgabe, ihr die Fesseln zu lösen.
ahg - 14. Mär, 10:52

Ich glaube nicht,

dass es die Sprache ist, die in gerade Bahnen "gefesselt" ist, ist es nicht vielmehr das "One-Way-Ticket-Ohr" das nur hört, was sich (lauthals) vom One-Way-Ticket herunterlesen lässt? Wo mir doch auch sofort die "durchwachsenen Ohren" einfallen. (http://www.abendschein.ch/weblog.php -Träume meiner Frau Nr.80)
Markus A. Hediger - 14. Mär, 11:01

Was ich meinte

ist, dass die Sprache durch die Art und Weise, wie sie verwendet wird, gefesselt werden kann (sie ist nicht von sich aus gefesselt, da stimme ich zu). Sie wird aber durch den Gebrauch (ob gesprochen, geschrieben, gelesen oder gehört), der von ihr gemacht wird, erst existent (Eco - zumindest der frühe - würde da wohl widersprechen, ich weiss). Es gibt auch die "One-Way-Ticket"-Zunge. Oder irre ich mich da?
Und bei "Zunge" fällt mir das "Zungenreden" ein, das - stellt man es in den "Serendipity"-Zusammenhang, plötzlich eine ganz neue, schöne Bedeutung erhält.
ahg - 14. Mär, 11:07

Schön,

die One-Way-Ticket-Zunge, die dann eine wäre, die immer nur an derselben Stelle des großen Eisbergs (oder meinetwegen am Jolly) leckt, und der One-Way-Ticket-Zungenträger hat immer eine Serviette dabei, um die Finger, auf die es links und rechts heruntertropft, abzuwischen. Zum guten Ende wird die Serviette, die natürlich eine weiße Papierserviette ist, zusammengeknüllt und in einen Mistkübel geschmissen, das Stangerl vom Jolly hinterher.
Markus A. Hediger - 14. Mär, 11:12

Ihr Bild

trifft es wieder einmal präzise, mit einer Ergänzung vielleicht: das Stangerl vom Jolly behalten wir meist noch eine ganze Weile im Mund und tun so, als schmecke es vorzüglich. Daher der Ausdruck: "ausgelutschte Redewendungen".
ahg - 14. Mär, 11:44

"das Stangerl vom Jolly behalten wir meist noch eine ganze Weile im Mund und tun so, als schmecke es vorzüglich."

... genau, genau, nur eines noch: das Stangerl schmeckt zwar nicht vorzüglich, aber es schmeckt: fasrig und nach Holz - Sie sehen, ich weiß, wovon ich spreche.
hab - 14. Mär, 12:15

nur kurz zu

Wo mir doch auch sofort die "durchwachsenen Ohren" einfallen. ... mir ist nicht bekannt, ob jemals besprochen wurde, dass sich noch eine andere lesart der ohrenverwachsung der odysseischen gefährten anböte/aufdrängte. eben die gegenläufige vorstellung eines one-way-tickets der information: vielleicht wollte odysseus gar nicht primär die sirenen hören, sondern nur sehen (vielleicht will man ja zuallererst sehen, da man ja seinen augen glaubt, seinen ohren allenfalls trauen darf), um nicht an dem anteil zu haben, was aus den ohren seiner mannschaft quoll, was also zuvor hineingesteckt wurde. in diese richtungen müssten die spekulationen gehen. (abteilung: zu einer sozialgeschichte der mythologie)
ahg - 14. Mär, 13:19

Ob's

eine Frage des Willens ist, das Hören? Und aufgetaucht aus den Tiefen der Literaturhistorie (leider ohne Namen) der Vergleich von Hören und Sehen: Kindergeschrei (glaube ich) war's, das als Geschrei viel mehr zu erreichen vermag als ein Bild auf dem ein Kind schreit. So betrachtet glaub' ich's aber gern (und unbeseh'n), dass Odysseus die Sirenen nur s e h e n wollte.

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