Eine Wirtshausgeschichte

„Herr Wirt, ein Bier!“, rief Kahulke und schon fielen die Gläser von der Schank in die Spülmaschine, die sich auch sofort in Gang setzte, hinter fest verschlossener Klappe lief das Wasser ein und ergoss sich über den voll gefüllten Spülkorb. Der Wirt klopfte mit den Fingern den Takt, „Gleich gibt’s frische Gläser!“, nickte er Kahulke zu, Kahulke, unbeeindruckt, wiederholte aber nur seine Bestellung und schlug dazu immer wieder mit der flachen Hand auf den Tisch. Da drehte, entnervt, der Zapfhahn auf und nach innen, da saugte der Zapfhahn die Schank, die Spülmaschine und den Tisch, an dem Kahulke saß, in seinen Bierbauch hinunter und als Kahulke seine Beschwerde „Herr Wirt, wo bleibt mein Bier!“ in den Schankraum rief, hallte sein Ruf blechern, aber nicht, dass ihn das gestört hätte, er fuhr fort: „Herr Wirt, wo bleibt mein Bier?“ „He, Sie!“, klopfte der Wirt an die Bierfasswand, „VerschwindenS erst einmal aus meinem Bierfass!“, aber Kahulke, der sture Bock, rief nur und es war nicht zu überhören, dass er erbost war: „Was ist denn das für eine Sauwirtschaft, kommt jetzt mein Bier oder was wird das da?!“ Dem Wirt blieb nichts anderes übrig, als Kahulke samt Bierfass, Schank, Spülmaschine und Tisch abtransportieren zu lassen. „Ein schweres Verlustgeschäft!“, klagte er bei der nächsten Sitzung des Vereines Lebenswertes Wien, in dem er seit kurzem Schriftführer war, aber wie leicht hätte es sein können, dass Kahulke Nachahmer gefunden hätte, und außerdem habe er die Folgen gefürchtet, schließlich seien die Bierfässer sein Kapital und so schnell könne man gar nicht schauen, da habe man die Lebensmittelpolizei am Hals und dann könne man sich seine Konzession in die Haare schmieren, weil es ja gegen alle Hygienevorschriften verstoße, wenn solche wie Kahulke in den Bierfässern hockten und um keinen Preis der Welt wieder herauszubringen seien. Dieses Wirtensterben, schloss er, sei nun wirklich kein Wunder, weil sich solche wie Kahulke auf die Lebensmittelpolizei verlassen könnten, während er, der Wirt, sich auf niemanden verlassen könne. Seine Freunde vom Lebenswerten Wien wussten, wovon der Wirt sprach, und Ja, da müsse etwas geändert werden, so gehe das wirklich nicht weiter, wo käme Wien denn hin ohne seine Wirtshäuser. Man erhob die Gläser und trank auf all das, das besser werden musste, aber das Bier, fand der Wirt, war viel zu warm und schmeckte fade, die nächste Sitzung, beschloss er, würde wieder in seinem Wirtshaus stattfinden. Die neue Schank war vor Kurzem geliefert worden, Spülmaschine, Tisch und Bierfässer waren auch kein Problem gewesen, auch wenn er den Vertrag mit der Brauerei um weitere fünf Jahre verlängern hatte müssen, und eine neue Zapfvorrichtung, da war er zuversichtlich, würde er auch bald auftreiben, eine solide nämlich, die nicht so nervös war, dass sie vor einem jeden dahergelaufenen Kahulke kapitulierte.

(Thema: Wien)

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