Freitag, 24. März 2006

Am Ring

Der stumme Diener kann nicht einmal nicken, der steht und steht und steht und lässt sich jede Jacke umhängen, das ist schon wirklich ein Trauerspiel. „Gäbe es nur nicht so viele von ihnen und wären sie nicht so unbeseelt, ich litte mit!“, tiriliert die Opernsängerin ein paar Stationen weiter so inbrünstig am hohen C herum, dass es dem Burgtheater fast das Trommelfell zerreißt. Die Universität will zur Sicherheit ein paar Wattestöpsel schicken, kann sich aber den Botendienst nicht mehr leisten. Der Portier, zum Paketzusteller degradiert, schläft aus Partout in der Straßenbahn ein und fährt stundenlang im Kreis, aber das Trommelfell des Burgtheaters hält eh viel mehr aus, als die Universität geglaubt hat. Außerdem hat die Opernsängerin das hohe C bald einmal durchgewetzt gehabt und so sind am Schluss nur noch das Schnarchen des Portiers und die Stationsdurchsagen im Zweier zu hören gewesen. Das Parlament reibt unschlüssig seine Beine aneinander, aber das Publikum klatscht sich vor Begeisterung die Hände wund. Die Apotheken machen ein spätes Geschäft, die Bühnenarbeiter tragen bis weit in die Nacht die stummen Diener ins Depot und sind froh, dass ihnen keiner drein redet.

(Thema: Wien)

Im verkehrten Haken

Wer Liesl Lilienfeld heißt, kommt nicht umhin, dass es ihn reißt, wenn er an einer Ankündigung für einen paranormalen Paarlauf vorbei rennt, und reißt es ihn eine Sekunde zu spät, weil ein paar Meter weiter die Straßenbahn in der Haltestelle steht und nicht auf ihn warten wird, rennt das Untergestell in Richtung Bim, reißt’s den Kopf zurück zum Plakat, dreht es ihn um, knackst es. Mit einem Hals wie eine gedrehte Kerze rennt Liesl Lilienfeld im verkehrten Haken, wie es ihn früher gab, als das Joch auf der einer Seite kürzer und auf der anderen Seite länger war, weil der junge Ochs noch lernen musste und auch noch nicht so kräftig war wie der alte, Liesl Lilienfelds Hals brennt wie die Hölle. „Der paranormale Paarlauf ist sowieso ein Schmäh gewesen“, heißt es. „Da ist nur ein Einziger herumgekurvt und nicht einmal die ganz Blöden haben es dem halbseidenen Typen mit dem Megaphon abgekauft, dass das Styroporglumpert neben dem auf dem Eis was Paranormales war.“ „Die Liesl hat sich g’sund verarschen lassen“, heißt es. „Frau Lilienfeld, wenn ich bitten dürfte, und Elisabeth, Sie Gsindl Sie“, sagt die Lady mit dem Ashleyhütchen, die der Liesl Lilienfeld seit jenem kleinen Unfall zur Hand geht.

(Thema: Wir erfinden neue Gattungen – Indubiosität)

Donnerstag, 23. März 2006

Erinnerung an zehn Teufel

Den Ball gegen die Hauswand werfen, ein Mal klatschen, den Ball fangen, den Ball gegen die Hauswand werfen, zwei Mal klatschen, den Ball fangen, den Ball gegen die Hauswand werfen, drei Mal klatschen, den Ball fangen, das musste schnell gehen und bis zehn und zum Schluss wurde der Ball in die Luft geworfen, wurde zehn Mal geklatscht und der Ball wieder gefangen und wer es bis dahin fehlerlos geschafft hatte, war Sieger. „Ein Zehnerl spielen“, nannten wir das und den Herrn Teufel im zweiten Stock regte das immer fürchterlich auf, so hatte er schon ein Wasserschaffel direkt beim Fenster stehen, damit er es ganz schnell herunterschütten konnte, wenn’s ihm zuviel wurde mit den lauten Gfrastern da im Hof unten. Aber der Herr Neunteufel, dessen Wohnung neben der des Herrn Teufel lag, lächelte uns immer zu, wenn er, was selten vorkam, zu uns herunter schaute. Wie es das geben konnte, dass ein Teufel so böse und ein Neunteufel so lieb war, beschäftigte mich sehr und kostete mich manchen Sieg im Zehnerln. „In meinem Haus wohnen zehn Teufel in einem Stock!“, sagte ich zu den Erwachsenen, weil ich sie aus ihrer Erwachsenenreserve locken wollte, um etwas Ordentliches als Antwort zu kriegen, aber sie haben nur gelacht, wie Erwachsene über Kinderwitze lachen, was mir aber lieber war, als wenn sie mir etwas über Kopfverletzungen aus dem Krieg erzählten, deretwegen wir den Herrn Teufel, der doch in Wirklichkeit Toifel heiße, verstehen müssten. „Seid’s doch ein bissl leiser oder geht’s wo anders hin“, das war dann nämlich das Ende vom Lied und auf DAS Ende war ich nun gar nicht erpicht, das kannte ich ja schon.

(Thema: Tagebuch)

Mittwoch, 22. März 2006

Komplimentärlesung

Er steht hinter dem, das er sagt, und dann und wann sitzt er hinter einem Leselämpchen, weil er und die Leut einen Körper brauchen als Beweis. Er drückt auf die Buchstaben, dass es die nur so heraustreibt, ein Basedoweffekt, behauptet jemand, der ganz sicher einen medizinischen Tick hat und deshalb nicht begreifen kann, dass es ganz und gar nicht um medizinische Effekte geht, wenn einer auf der Bühne sitzt, die eine Kanzel ist, behauptet ein anderer, der auch nicht kapiert, worum es geht, wahrscheinlich hat er einen religiösen Tick oder noch schlimmer: er ist vom Glauben abgefallen und sieht jetzt nur noch Prediger. Schwachmat, Zivilversager, korrigiert ein Dritter, auch er völlig fehl am Platz vor der großen Bühne, weil für abgefallene Militaristen liest der, der da auf der Bühne sitzt, schon gar nicht mit seinen Stimmbändern, die Ehemaligen sind nämlich immer die Übelsten mit ihren gehälftelten Miniaturstirnen, die haben ja nur Scheiße im Kopf, sagt der vom Glauben Abgefallene ganz radikal, weil er nicht weiß, wo er hingehört, der Idiot, und der mit dem medizinischen Tick faselt etwas von Kinderlähmung, als ob es die heute noch gäbe. Aber die gibt’s doch da schießt plötzlich ein Literatenauge in einem Höllentempo daher und alle ducken sich, dass sie von ihm nicht erschossen werden, und jetzt haben sie Glück mit ihren kleinen Stirnen, weil wer will sich denn schon erschießen lassen von einem Auge, das kann man ja nicht einmal auf den Partezettel schreiben, weil dann die Trauernden Lachanfälle kriegen, und der Tod ist nun wirklich nix Gspaßiges, da sind wir uns jetzt aber ganz einig und in Wirklichkeit war’s eh kein Auge, sondern ein Stück Kreide war’s, wie es immer neben dem Bühnenwasserglas liegt, und es kam von der Bühne heruntergeschossen als kleine Ermahnung bloß an die Schwätzer, das Schwätzen gefälligst bleiben zu lassen.

(Das Gegenstück: http://ahg.twoday.net/stories/1530199)

(Thema: Da hab ich mir gedacht)

Doppel mit Bademeister

Kannst Badeweltmeister zu mir sagen, sagt der Bademeister zu mir und ich sage, dass doch Winter ist, Na und, sagt der Bademeister und ich sage: Na und darf nur das Engerl mit der Zahnlücke sagen, weil ich das Engerl mit der Zahnlücke nämlich liebe. LIEBE, sage ich, Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was Liebe ist, sage ich und der Bademeister sagt: Aber sicher, was glaubst du denn. Da steigt mir die Galle hoch wegen dem Du, der Bademeister hält sie für eine Fischblase und rettet sie – Gewohnheit ist Gewohnheit – direkt aus meinem Mund heraus. Weil ich dich nämlich liebe, sagt er, aber ich bin doch kein Fisch, sage ich und schnappe meine Galle aus seiner Bademeisterhand wie eine Hostie. Nur nicht zubeißen, denke ich, wie soll so ein zerbissener Jesus denn auferstehen können, wenn der Winter endlich vorbei ist. Der Bademeister wirft sich in eine Positur nach der anderen, ich denke ganz fest an was Schönes, denn wie schnell hat’s sich zugebissen, beidbeinig springe ich immer wieder auf den Boden, bis die Galle sitzt, wo sie hingehört, und mein Mund frei ist für den Badeweltmeister. KüssenS mich halt, sage ich, Sie Badewaschel, aber lustig, lustig wird das nicht.

(Thema: Was einem so einfallen kann)

Dienstag, 21. März 2006

Mit einem Pappenstiel

Mit einem Pappenstiel kommst du nicht weit, fliegst höchstens zehn Zentimeter und dann landest du beispielsweise in der Ausgleichsmasse, die gerade erst über dem aufgebrochenen Estrich verstrichen worden ist, dann sitzt du auf deinem Pappenstiel in dem feuchten, kühlen Batz und bist – ganz im Gegensatz zu dem, das dich umgibt – ganz und gar nicht ausgeglichen (allein schon der Temperaturunterschied). Eine unruhige Nacht in Ausgleichsmassepatscherln folgt und Träume von elisabethanischen Halskrausen und am Morgen kommen die Helping Hands, Schlagbohrer im Anschlag, um dich heraus zu brechen. Zurück bleibt der Pappenstiel, „Kann er wenigstens keinen Schaden mehr anrichten“, feixen (FEIXEN) die Helping Hands, sie klopfen dir mit kleinen Hämmern die restliche Ausgleichsmasse vom Leib, du trauerst um den Pappenstiel, weil schön, schön ist es schon gewesen. „Vorher halt“, sagst du trotzig und schiebst deine Unterlippe weit in den Raum.

(Thema: Wir erfinden neue Gattungen / Naturalie)

Montag, 20. März 2006

Wilhelm, der Conquestator

Wilhelm, der Conquestator, war großzügig, er verlangte nur Lippenbekenntnisse, Handbekenntnisse, Beinbekenntnisse, ab und zu ein Beckenbekenntnis, das war alles, das er verlangte, und es wird berichtet, dass er gelegentlich sogar ein Auge zudrückte, fielen die Bekenntnisse nicht ganz so aus, wie es sein hätte sollen. In Wirklichkeit verfocht er nämlich die Freiheit des Geistes und was das betraf, war er unerbittlich. Wehe dem, in dessen Augen er Stäbe, Zäune, Gitter oder auch nur einen hauchdünnen Schleier sah. So hingezaubert, so zierlich und fein konnte gar nichts sein, als dass er es nicht erspähte bei seinen Conquestationen, denen sich jeder stellte, der nichts zu verbergen hatte. „Freiheit, wirkliche Freiheit, versteckt sich nicht“, pflegte Wilhelm, der Conquestator, zu sagen, drückte es jemandem beim Morgenappell die Augen zu, weil er vielleicht verschnupft war und es ihm die Lider so zugeschwollen hatte, dass er die Augen beim besten Willen nicht aufkriegte, auch er wurde in die Steinbrüche geschickt: „Bis euch die Augen brechen“, sagte Wilhelm, der Conquestator, dem es nämlich wirklich ernst war.

(Thema: Portrait)

Sonntag, 19. März 2006

Breitere Aufstellung

Keine Denotationen, nothing to be notified, keine Notate, nur der Notar im Raum hinter dem Raum, in dem die Sekretärinnen sitzen, aber was sag’ ich, als ob es noch Sekretärinnen gäbe, Managerinnen sind’s, die da im Zimmer vor dem Zimmer des Notars sitzen, und dann und wann ein Manager mit Ambition. Der Herr Notar setzt seinen Stempel erst, heißt es, wenn alles seine Ordnung hat, heißt es, denn ein paar Zentimeter und die Proportionen stimmen schon nicht mehr, heißt es, so ein Akt ist nämlich was Ästhetisches, heißt es, und der Herr Notar ist ein ganz spezieller Fall von Ästhet, heißt es, er ist ein Ästhetenästhet, heißt es. Das Vorzimmermanagement haucht die Buchstaben nur so in die Luft, mir wird ganz hauchig ums Gemüt, schon hebt es mich hoch vor lauter Atem, aber jetzt, sagt ein Manager mit Ambition, jetzt telefoniert der Herr Notar und den Teufel werde er tun, ihn dabei zu stören. Ein klares Wort am rechten Ort, sagen die Managerinnen, und schon sind alle Falschen fort, sagen sie, da ist die Tür. Ich bedanke mich und werfe eine Handvoll Münzen in die Kaffeekasse, ich sage: Nur Milch und Brot macht Wangen rot, ich stelle mich breiter auf, mir wächst ein Bocksbart.

(Thema: Was einem so einfallen kann)

Samstag, 18. März 2006

Zug um Zug

Da war ein großer Raum mit einem meilenweiten Esstisch („Von Herzogenburg bis Spielberg, das soll uns erst einmal einer nachmachen!“), dann Lebertranfelle über den alten Melkschemeln und ein versteiftes Tischbein mit Fußsohlen aus gedengeltem Blech, da war ein Stubenarrest („Du hast, du hast, du hast!“) und ein Verstoß. „Unumstößlich ist gar nichts“, sagte der Hausherr und lachte, dass die Wände zitterten, „Ja sind wir da vielleicht in einem Sturmkanal?“, fragte die Dame des Hauses und zog sich ein Lebertranfell über die Ohren. Der Hausherr zauberte eine Rotweinflasche aus dem Ärmel, die Gläser klirrten rubinrot wie die Vorhänge, die bis zum Boden fielen in ihrer Scham, das Kind wurde ins Bett geschickt, weil morgen der Stubenarrest eh vorbei war: „Hast g’hört?“ Am Boden lag hauchdünn ein Film aus Mehlstaub und trapptrapptrapp war das Kind auch schon weg. Die Dame des Hauses hob einen Zipfel des Lebertranfelles und bleckte dem Hausherrn ihr Zehntausend-Euro-Gebiss ins Gesicht.


(Thema: Wir erfinden neue Gattungen / Eine Indubiosität)

Freitag, 17. März 2006

im posteingang

www.hundekot.at

(Thema: Wien)

gesendetes objekt

(…) ich muss nur ein paar schritte in eine buchhandlung machen oder gar nur ein wenig herumsurfen: diese von-a-nach-b-nach-c-geschichten gibt es doch zuhauf (die kunstvollen schreiben dann von b nach a und das c darf sich der leser ausdenken, wie umwerfend). das ist doch eine überproduktion wie der butterberg in der eu. ich habe NULL motivation, da noch ein paar butterstücke hinzuzufügen. davon abgesehen sehe ich das auch nicht als aufgabe der literatur (im sinne der kunst). deshalb beneide ich die bildenden künstler, die sich mit ihrem material und mit den formen und den MÖGLICHKEITEN ohne legitimationszwänge beschäftigen können (wobei das vielleicht aber nur eine neidphantasie meinerseits ist). dennoch: diese art "grundlagenforschung" war in der literatur ja vor gar nicht so langer zeit auch noch ein wenig mehr möglich. aber jetzt heißt’s wieder erzählen, erzählen, erzählen (je umfassender das unverständliche, chaotische, zerfallene draußen, umso klarer muss die idee einer erzählbaren ordnung in der literatur funktionieren? nach -, hinzu -, drüber -, drunter -, daneben - erzählungen, wobei der bezugspunkt die einzige fiktion ist?). und dann gibt's auch noch diese "beipackzettel-literatur", wo der beigestellte theorie-apperat das eigentliche ist. der größte fehler, den man als leser machen kann: erst die theorie-brambatur* lesen und dann den text. (…)

* vgl.: Wir erfinden neue Gattungen

(Thema: Kunst und Kitsch)

Starker Tobak in Favoriten

Krischan berichtete gestern von einer Wand, die sich durch seine Wohnung ziehe, und sogar auf der FAV, seiner bevorzugten Einkaufsstraße, sei sie überall herumgestanden – das Kilo Äpfel, die Zwiebel und das Bund Radieschen habe ihm sein Lieblingstürke ‚förmlich’ hindurch reichen müssen, was ihn zaudern hätte lassen, weswegen der Einkauf beinahe zwischen dem Lieblingstürken und ihm hindurch und in den Taubendreck gefallen wäre –, zwischen Fernseher und dem neuen Flachbildschirm sei ‚es’ zuerst zugewachsen, er habe seine Kamera dagegen gehalten für ein Makro, aber die Wand habe sich auch als Totale nicht fotografieren lassen, weshalb er sie bis zu jenem Erlebnis auf der FAV für ein Nebenprodukt gehalten habe, wie es sich nach einem gelungenen Lesefeldzug gelegentlich einstelle, ich solle ‚bloß’ an Haushofers Wand denken, und ob es möglich sei, dass ‚es’, und damit meine er ‚sie’, wachsen könne von der Troststraße bis zur Neilreichgasse und von dort bis in die FAV, immerhin sei das ziemlich weit, mehrere Stationen mit dem 67er, und am Rückweg habe er seinen Einkauf mit der Zeitung zugedeckt und sei immer wieder drunter gefahren, um die Äpfel, die Zwiebeln und die Radieschen heimlich zwischen seine Finger zu nehmen, während er aus dem Fenster die Wand gesehen habe und nicht einmal in den Kurven sei sie verrutscht, was starker Tobak gewesen sei, wirklich starker Tobak.

(Thema: Wien)

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