Dienstag, 27. Juni 2006

Fröhliche Urstände

Auseinandergenommen und zum Trocknen aufgehängt: ein Schultermuskel, daneben baumelt ein Weib mit gespreizten Beinen. „Hier wird biologisch gekocht!“, steht auf der Tafel, die an einem in den Bauchnabel getriebenen Nagel befestigt ist. Es folgt eine Reihe von halbierten Steinpilzen, immer wieder unterbrochen von gebündeltem Bohnenkraut, den Schluss bildet ein bunt gemustertes Leinennachthemd, das nach Waschmittel riecht. Unter der Wäscheleine blüht das Gras, dazwischen Glockenblumen, Margariten und Witwenknöpfe. Um die Stangen, zwischen denen die Wäscheleine gezogen ist, stehen Brennnesselstauden. Das Kind, dessen Stubenwagen in den Schatten des Nachthemds geschoben worden ist, greint vor sich hin. Langsam langt das Weib nach dem Schultermuskel, schiebt ihn sich unter die Haut und greift sich zwischen die Beine, um zu testen, ob die Feuerstelle noch heiß ist.

(Thema: Naturalie)

Donnerstag, 15. Juni 2006

Kunst, veranstaltete

Die Kunstwespe schießt auf dem Gelände herum, sie besichtigt nach getaner Arbeit (An- und Abstachelungen diverser Natur) die Künstler, die am Boden (Gras, Erde, Kies) herumwummern (es sind tonale Künstler) oder aber, gerade von der Baumperformance heruntergeklettert, im Klatschregen stehen. Die Kunstwespe ist ziemlich flott anzusehen in ihrer über dem Stachel gespannten Haut, wenn nur ihr Blick nicht so schnittig gewesen wäre! Denn („Ach!“) wie eine in die Gerade gedengelte Sense wetzt er über die Flure und metzelt alles weg, das kunstwespenmäßig nichts bringt und auch nichts bringen wird. Nicht einmal das leisteste Surren oder Zischen ist zu hören, und weil die ganzen Kunstfreunde auf die ebenso schnell wie provisorisch errichtete Bühne schauen, ist auch nicht zu sehen, wie Eins ums Andere fällt („Cut“). „Humus für Künftiges“, sagst du, ich sage: „Selbstergötzlichkeit“. Später sage ich noch: „Kulturjunta“ „Kunstzecke“ und noch später, als ich wieder zuhause bin: „Saugfrasta.“

(Thema: Kunst)

Donnerstag, 1. Juni 2006

Tretjakoffs Tritte

Tretjakoff bückt sich, um seine Schuhspitzen nachzupolieren. Der Tritt in den Hintern eines dieser zahlreichen üblen Subjekte, die seit den üppigen Mairegenfällen in spielerischen Mustern angeordnet den Weg zwischen seinem Haus und der Straße säumen, um ihn, kaum verlässt er das Haus, zu begaffen (kein Wasser steht in ihren Augen, kein Lidschlag unterbricht ihre Blicke), hat Spuren hinterlassen. Er hat alle seine Putztücher in den vergangenen Wochen, als dieses Gelichter wie verrückt aus dem Boden schoss, verschlissen, so zieht er sich den Ärmel seines Pullovers über die Hand und wischt den Dreck mit der fein verstrickten Alpakawolle vom Leder. „Ich hätt’ so gerne meine Ohren in den Mundwinkeln stehen“, murmelt er, als er sich wieder aufrichtet, „dann könnt’ ich meine Brille direkt vor dem Mund tragen, dann könnt’ ich hören und sehen und reden zugleich. Dann hörte und sähe ich das Rechte, dann fände ich auch die rechten Worte für das dunkle Maigesprosse da an meiner Straße, das sich dann auf seine eigenen Wege machte. Ich müsste mich nicht mehr andauernd bücken, meine Schuhe zu putzen, und meine Pulloverärmel blieben sauber.“ Wir, die wir (und das ist nun wahrlich nicht die feine englische Art!) Tretjakoff belauschen und uns unseren Teil denken (und der bessere ist das nicht!), wollen ihm zugute halten, dass er ein Exzentriker ist und dass er seit Jahr und Tag in einem ebenso entlegenen wie englischen Herrenhaus lebt, und wir wollen uns, die wir seine Straße säumen und an seiner Tür bis in seinen Kopf hinein lauschen, zugute halten, dass er der Einzige seiner Art ist.

(Thema: Naturalie)

Dienstag, 30. Mai 2006

Heiteres Beruferaten

Früher, in der Weichheit der Sommermuskulatur, saßen die Quadratschädel auf beweglichen Hälsen und ließen sich im leichten Spiel von Sommergelächter einmal in diese, einmal in jene Richtung drehen. Da flatterten Augenlider, da weiteten sich Nasenlöcher, da hoben sich Augenbrauen und fielen herab, da öffneten sich Mäuler und wenn sie sich wieder schlossen, lagen auf den Tischen zahlreiche bunte Würfel in verschiedenen Größen und Hände stoben hinein mit schlanken, wendigen Fingern, bis die Würfel in den verschlungenen Mustern der Tischdecken verschwunden waren. Jetzt liegen die Schädel zwischen Kleiderablage und Schuhschrank, aufeinander gestapelt wie die Schuhkartons von Moonboots, die Hälse, von einem kräftigen Einweckgummi zusammengehalten, liegen in der Bestecklade gleich neben den Grillspießen und das Reinigungspersonal beutelt die Tischdecken in den kalten Herbstwind hinaus, der so laut ums Haus bricht, dass man das Aufplatzen der Würfel am Boden nicht hören kann. Nach einer ausgiebigen Maniküre werden auch die Hände winterfest gemacht: in extra angefertigten Styroporformen werden sie die kommenden Fröste überdauern.

(Thema: Naturalie)

Donnerstag, 25. Mai 2006

Kündigung eines Hausmeisters

Der Tabernakelschrein ist die meiste Zeit leer, sagt der Hausmeister. Nur für die Messen werde die Schale mit dem Allerheiligsten aus dem Safe geholt, der Pfarrer gebe das sogar zu. Deshalb habe er dem Pfarrer (Gott sei bei ihm!) gekündigt, weil verarschen lasse er sich nicht. Er sei kein Sonntagsmann, er sei ein echter Hausmeister (Von Montag bis Montag, wenn Sie wissen, was ich meine!) und schließlich gebe es keine sechs Kilometer weiter schon andere Häuser (Realitäten!), an denen auch was dran sei und für die er gern und aus vollem Herzen arbeiten würde. Ich solle mir das vorstellen (Stell’nS sich das einmal vor!): Da sei doch tatsächlich die ganze Woche über nichts drin in diesem Tabernakelschrein außer einer Handvoll Sätze, die früher einmal in den Samtbezug des Tabernakelkissens gesprochen worden sind (wahrscheinlich vom Pfarrer, als er noch gewusst hat, worum es geht!), die es aber bis zur Unverständlichkeit in die Flusen (den sogenannten Pfarrerabrieb) eingesponnen hat, weil die Putzfrau nicht in den Schrein greifen habe dürfen, nicht einmal mit einem von diesen ganz sanften Tischstaubsaugern habe sie da hineindürfen. Das habe nur der Mesner dürfen, aber der habe nicht das richtige Gespür gehabt (G’schpüa, sagt er, als ob er jemanden nachäfft, vielleicht die Putzfrau?) und so sei der Schrein mit der Zeit halt ganz verflust. Er, der Hausmeister, habe bald nach seiner Einstellung einen Nachschlüssel für den Tabernakelschrein bekommen, weil ein Hausmeister sowieso eine Vertrauensperson sein müsse, das habe der Pfarrer gesagt, und dass er dem Mesner schon länger nicht mehr über den Weg traue. Der sei nicht mehr ganz richtig im Kopf, herum erzählt habe er, dass im Tabernakelschrein nur Kopien (Aus Plastik! Das auch noch!) stünden und dass die ganze Wandlung ein Schas sei, wenn schon die Schale mit dem Allerheiligsten gefälscht sei. Und als er, der Hausmeister, für jedes Schloss in der Kirche den passenden Schlüssel bekommen habe, sei natürlich auch der Tabernakelschreinschlüssel dabei gewesen. Gleich nach der Messe habe er alle Schlüssel ausprobiert und als tatsächlich ein jeder gepasst hat, sei er richtig froh gewesen, weil es nämlich das Schönste am Hausmeisterberuf sei, wenn alles passt. Er zieht einen gewaltigen Schlüsselbund hervor, ich bin beeindruckt, er: Hab ich mir gleich gedacht, dassS da schaun wern! Wegen der Prophezeiung schaue ich noch ein bisschen länger beeindruckt, der Hausmeister redet weiter: Der Mesner hat auch ziemlich deppert geschaut, als er den Tabernakelschrein auf einmal nicht mehr aufgekriegt hat, weil der Herr Pfarrer und ich nämlich bald einmal das Schloss austauschen lassen haben. Aber eines Tages habe er den Tabernakelschrein unter der Woche aufgesperrt (WissenS eh, die Schlüsselprobe!) und da habe er es dann gesehen, dass der Schrein leer war. Er steckt den Schlüsselbund wieder ein: Den behalt’ ich mir aber, weil wenn der Pfarrer in die ewigen Jagdgründe eingeht (er lacht, als er das sagt), bin ich gleich voll ausgerüstet wieder zur Stelle.


(Thema: Portrait)

Dienstag, 23. Mai 2006

Nieholt

Machen Sie es mir doch nicht so schwer, sagte Nieholt, Sie wissen doch selbst, dass dieses ineffiziente Mehrlingsgesocks weg muss. Was wollen Sie denn mit den schwächelnden Missgeburten anfangen? Die kommen ja doch nicht auf die Beine, wenn ihnen überhaupt welche wachsen, verkrüppelt wie sie sind. So halten Sie doch still und den Mund halten Sie auch, wenn Sie mir diese kleine Wortspielerei gestatten. Geh schau’n Sie doch nicht so schief, ein Wortspiel hat noch keinem geschadet und nimmt der Sache doch auch die Dramatik, die sie ja in Wirklichkeit gar nicht hat. Sehen’S das doch bitte-gar-schön endlich ein! Und sein’S doch nicht so verzwickt, lachen’S doch lieber einmal! Haben Sie denn überhaupt keinen Humor? Nicht schaun’S mich an, Sie Kasperl Sie, als ob Sie wüssten, dass es hier in Wirklichkeit um ganz was Anderes geht, grad’ Einer wie Sie, der tut, als ob die Wirklichkeit ein Zaubersack wäre! Sind’S mir nicht bös’, aber das ist jetzt wirklich lächerlich. Nur eine Gerade ist eine Gerade und ein sauberer Schnitt ist ein gerader Schnitt, so, mein Lieber, so ist es nämlich. Schaun’S her, s’ist alles schon vorbei und hat’s weh getan? Nein, es hat nicht weh getan und jetzt schau’n wir doch gleich wieder viel besser aus. Geben’S es doch zu, das war doch nichts mit diesem sinn- und zwecklosen Blasengewabbel an den Hacken, das nie auf den Weg gekommen wäre. Sehen’S, jetzt sind’S richtig froh, dass ich Sie erleichtert hab’, jetzt können’S ganz frisch von Vorn anfangen, aber das nächste Mal, das wär’ mir schon recht lieb, spar’n Sie sich ihr gequältes Getue, da tät ich mir nämlich leichter, ich liebe meine Arbeit, ob Sie das jetzt glauben oder nicht, nämlich genauso wie Sie die Ihre.

(Thema: Portrait)

Max Goldt in einem Interview mit Klaus Nüchtern (Falter 20/06)

„Ich halte es lieber mit Peter Esterhazy, der in seiner Rede zum Friedenspreis des deutschen Buchhandels sagte, er misstraue jeder Form von Literatur, die sich nacherzählen lässt. Das tue ich auch! Werden Sie mich gleich fragen, ob ich mich als Essayist sehe? Ich würde antworten: Keine Ahnung! Da allerdings die Hauptaufgabe essayistischer Literatur in der Begriffserörterung liegt, die ich nicht selten betreibe, könnte es sein, dass ich einer bin oder gerade einer werde.“


(Thema: Zitate)

Freitag, 19. Mai 2006

Ein Reflexivum

Mit einem stählernen Besen, breit wie zwei Mann hoch, wurde der Boden von Männern in schreiend gelben Reflektorjacken frei gekehrt, damit sich keiner verfange im klebrigen Labkraut oder sich schmerzhaft verirre im hochgeschossenen Brennnesselwald oder sich gar dem lauthals flüchtenden Springkraut an die Sprungfessel werfe, aber in den Furchen, die sich nach dem Einsatz im regelmäßigen Abstand der Besenbarthaare über den Boden zogen, hat sich das Wasser der letzten Nacht gesammelt. Man hofft, heißt es, dass die heimlich hineingeworfenen Lupinensamen drin aufgehen.

(Thema: Naturalie)

Dienstag, 16. Mai 2006

Ein Maimorgen

An der Westseite des Schuppens wächst einem Eselsohr ein pfeilgerader Fortpflanzungstrieb in die Höhe, nachlässig an die dunkle Holzwand gelehnt wartet eine Allergie auf Vorüberkommende, unter dem Schuppendach umsurren Wespen den Eingang ihres Nestes, am Giebel sitzt eine Bachstelze mit wippendem Schwanz. Das Eselsohr treibt samtig in die Höhe, an der Allergie vorbei, zwischen Wespen hindurch bis hinauf zum Dach, aber die Bachstelze ist nicht mehr da. Die Allergie wird von einer irritierten Wespe gestochen und kriegt keine Luft mehr, dafür einen hässlichen Hautsausschlag, der Fortpflanzungstrieb des Eselohres fällt zurück auf den Boden, wo er sich einwurzelt. Vom Osten kommt in Form eines riesigen rosa Lutschbonbons Hilfe für die Allergie. Die Bachstelze sitzt wieder am Dach und wippt erwartungsvoll mit ihrem Schwanz.

(Thema. Naturalie)

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