Freitag, 3. Februar 2006

Und beim Eingang schaut's aus wie ein Hotel

„46 Jahre in der Fremde, da lernst vieles!“, sagt Resi. Vor 46 Jahren ist sie von Matrei (mit einem a zu sprechen, das in der Art der Tiroler eigentlich ein kehliges o ist) nach Wien gezogen. Jetzt sitzt sie auf einer Couch, die in der Nacht ihr Bett ist. Nein, sie richtet es nicht jeden Tag. Auf den Linoleumboden kommt noch ein Teppich und dort, beim Fenster, das zur Loggia hinausschaut, kommt noch eine Eckbank hin. Lieferzeit sechs bis acht Wochen, im Frühling dann. Oben drüber die große Uhr mit den Zacken. Sie hat das schon in der Probewoche mitbekommen, dass es da in dem Heim lauter Gruppen gibt, die keinen dazu lassen. Sie braucht die Leute eh nicht, weil sie genug Leute draußen hat. Die Milch in der Mikrowelle kocht über, sie kennt sich damit noch nicht aus. Die Kerzen hat sie hinter dem großen Portraitfoto ihres Mannes versteckt. Jeden Freitag und Samstag brennen sie: An einem Freitag ist die Mutter gestorben, an einem Samstag der Mann. Ein Bügeleisen hat sie auch eingeschmuggelt.

(Thema: Tagebuch)

Donnerstag, 2. Februar 2006

Ein Verfolger

Leichenfässer, doppelwandig, werden über die Kärntnerstraße gerollt. Klein- und Großlastwägen, Kombitransporter und Personenkraftwagen rücken keinen Zentimeter zur Seite, kleine Männchen huschen zwischen Eingängen und Ladeflächen hin und her, es ist Ladezeit. Die Leichenfässer poltern und der Wind kommt von rechts, was eine Himmelsrichtung ist, aber nur leicht. Eine ist vom Haashaus hinunter gesprungen und eine andere vom Stephansdom, dem Verfolger ist das viel zu schnell gegangen, er hat grad und grad den Pincode eingetippt gehabt, da hat’s auch schon gerummst. Noch früher: tote Katzenköpfe nebeneinander gesetzt, das rumpelt immer noch beim Drüberfahren. Der Verfolger schiebt seine Hand in den U-Bahn-Abgang und zupft einen Polizisten heraus, den er zum Karlsplatz versetzt. Mitten auf der Kärntnerstraße öffnen sich wie durch ein Wunder Riesenschirme, damit es niemandem den Kopf ausbrennt. Die Leichenfässer werden bis zur Oper gebracht und dort in die Opernpassage hinunter geschubst. Der Polizist steht am Karlsplatz herum. In der U-Bahn-Station Stephansplatz riecht es nach Pestfriedhof und im Haashaus, gleich im ersten Geschäft im Erdgeschoß, riecht es nach Tee. Der Verfolger zieht sich auf den Südturm zurück.

(Thema: Wien)

Mittwoch, 1. Februar 2006

Fender

Ich erinnere mich an Fender, wie er da am Fenster sitzt und hinaus schaut. Draußen: ein Garten, ein Baum. Jahreszeit: Herbst. Die Fensterscheibe deutlich aus Glas, aber beschlagen ist sie nicht. Ich denke, als ich mich an Fender erinnere, trotzdem an eine Scheibe, die dicht beschlagen ist mit Kondenswasser, als ob es draußen ganz plötzlich sehr kalt geworden wäre. Ich denke, als ich mich an Fender erinnere, dass er (wie ein Kind) Linien auf die Fensterscheibe zeichnet, keiner stört ihn dabei, weil keiner außer Fender da ist. Mir kommt vor, als ob es ihn fröstelt, weil die Luftfeuchtigkeit so hoch und die Temperatur auch im Zimmer am Abkühlen ist. Gleich wird es regnen, denke ich, und Fender wird sich eine Tröpfcheninfektion holen.


Und das ist Fenders Geschichte:

Dem Ahorn die Federn auszureißen, davon träumt Fender, wenn er an den warmen Abenden unter dem Ahornbaum liegt und eigentlich die Vögel zählen sollte. Bevor sie nach Süden fliegen, ist ihm aufgetragen worden, musst du die Vögel zählen. Jeder Einzelne soll verzeichnet sein. Wenn der Wind geht, will sich Fender nicht erschlagen lassen und bezieht seinen Posten hinter dem Küchenfenster. Seine Zähllisten und Kugelschreiber liegen ordentlich am Fensterbrett und die Vögel ziehen direkt vor dem Fenster ihre Schleifen, aber Fender kommt seinem Auftrag nicht nach. Fender sieht die Vögel gar nicht, Fender sieht nur den Ahornbaum und es juckt ihn in den Fingern. Fender will dem Ahornbaum die Federn ausreißen. Fender will nicht die Vögel zählen. Fender spielt mit den Kugelschreibern, steckt sie zwischen seine Finger. Er nimmt einen Kugelschreiber in den Mund und beißt ihm die Kappe ab. Fender hat einen blauen Mund, den er auf dem Handrücken abwischt. Er zieht an seinen Fingern, bis seine Gelenke knacken. Er drückt seinen blauen Handrücken auf eine Zählliste, bis ihm die Hand weh tut. Fender hat einen blauen Geschmack im Mund und sollte eigentlich die Vögel zählen.


(Thema: Zeitmaschine)

Dienstag, 31. Januar 2006

Elfriede Jelinek: "Dieses störende Dings, das lebt"

http://ourworld.compuserve.com/homepages/elfriede

Erster Text unter „Aktuelles“: Dieses störende Dings, das lebt


(Thema: Gesurft)

Montag, 30. Januar 2006

F. hört nicht auf C.

„Da kann sich C. den Mund fusslig reden, F. hört einfach nicht“, das sagt G., der aus Deutschland kommt. „F. ist verstockt“, das sagt H., den wir deshalb Hermann nennen müssen. „F. ist verliebt in seine Ohrhärchen“, sagt E., die ein Kind ist. „F. ist ein Gefühlsmensch“, sagt S., der weiß, was er sagt („Und ich weiß, was ich sage!“). Währenddessen reißt es F.s Ohrhärchen in C.s Maulstürmen hin und her, dass es ihm vor Abscheu gleich alles aufstellt (die Körperhaare). „Jö, ein Igel!“, ruft Elisabeth. Am Stock-Im-Eisenplatz formiert sich ein Chor aus zufällig vorüber kommenden Wienern und Touristen und deklamiert: „Ich bin doch so vernagelt!“, F. geht Rückenmark spenden (ein Windkanal).

(Thema: Was einem so einfallen kann)

Homepage, neu

http://www.andrea-heinisch-glueck.at

(Thema: Gesurft)

Sonntag, 29. Januar 2006

Was für eine Nacht!

Endlich stand die Sonne wieder am Himmel und damit sie mir weder untergehen, noch sich hinter irgendwelchen Wolken verstecken konnte, griff ich sie mir vom Himmel herunter und steckte sie wie eine Wärmeflasche unter meinen Pullover. Nun habe ich einen brennenden Glühwürmchenbauch, die Anderen halten mich für einen Alien und abgesehen vom schwachen Lichtschein, der durch die Pullovermaschen dringt, ist es stockdunkel.

(Thema: Da hab’ ich mir gedacht)

Samstag, 28. Januar 2006

Einzeilerlyrik

Schön abgewohnt, der Mond.

(Thema: Wir erfinden neue Gattungen)

Freitag, 27. Januar 2006

Tatsächlichkeiten

Wenn sich das Herz vor lauter Angst so zusammenzieht, dass es das Blut nur in die allerlebenswichtigsten Bereiche pumpen kann, wenn das Herz sein Blut in Wirklichkeit gar nicht dorthin pumpen WILL, wo das Ungeheuerliche passiert (Wir werden massakriert!), denn (die Logik des Herzens): Wo kein Blut, dort kein Schmerz!, dann heißt’s aufpassen, dass sich das frisch gestochene Kieferloch zwischen Fünfer und Siebener nicht entzündet.

(Thema: Tagebuch)

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