Mittwoch, 12. April 2006

Ein Stöckelstück

Hermine von der Flottenstation hat rosarote Augen und einen lila Mund. Sie klappert auf Stöckeln durch die Weltgeschichte, die, wie sie zwischen ihren lila Lippen heraus behauptet, ein einziges Katzenkopfpflaster sei. Nicht nur auf Plätzen und in den Altstädten, sondern schlichtweg überall, und es sei die entscheidende Kunst, mit jedem Schritt direkt auf einen Katzenkopfpflasterstein zu treffen. In den Zwischenraum gestöckelt, ruiniere es den Lederüberzug oder der Stöckel breche gleich ab und stecke dann als völlig sinn- und zweckloser Stolperstöckel in der Weltgeschichte, irritiere die Nachkommenden oder bringe sie gar zu Fall. Mit dem Geklapper wäre es dann bis auf Weiteres auch vorbei und über die Optik des Gehens auf einem entstöckelten Stöckelschuh wolle sie sich erst gar nicht auslassen. Um hüfttechnische Schäden hintan zu halten, müsse man den Weg zum nächsten Schuster barfuß antreten. „Verstohlen wie ein Dieb!“, rief sie aus und aus ihren Augen quollen rosarote Tränen, die sie in einer Kaffeefiltertüte sammelte. Zur Farbgewinnung, wie sie mir erklärte. Sie griff sich zwischen die Brüste und holte einen kleinen Leinenbeutel heraus. „Mein Schatz!“, flüsterte sie und ließ mich einen Blick auf ein Häuflein rosa Staubes tun. Der Staub war sehr fein, ein Blick genügte, um ihn in Aufregung zu versetzen, aber Hermine schloss den Beutel rechtzeitig. Als sich meine Nase entlud, war ihr Schatz bereits wieder in ihrem Busen verschlossen. Während ich mich schnäuzte, musterte sie meine Füße und mutmaßte allerhand Übles über meine Schuhe. Ich schrieb die Frechheiten, die wie Kaninchen aus einem umgestülpten Zauberhut auf meine Zehen fielen, dem Umstand ihres Derangements zu, das sie aus der Bahn geworfen haben musste, denn normalerweise ließ sie sich nie zu fremden Füßen herab, um irgendetwas über sie zu äußern. Dazu fehlte ihr wohl schon das Interesse, außerdem wollte ich mich, barfuß und zerschunden, wie ich war, nicht mit ihr streiten. Ich war böse gefallen, hatte nicht nur den Absatz eines Schuhs verloren, sondern mir auch noch Gesicht und Arme aufgeschürft, die rostroten Flecken des Desinfektionssprays zogen sich von meiner Stirn bis zu den Ellenbogen, Unterarmen, Händen. So gesehen war es ein Glück, dass sich Hermine auf das Schwadronieren, meine Füße und mein Schuhwerk betreffend, beschränkte. „Sie ist eben wie all die andern armen Geschöpfe von der Flottenstation nicht ganz klar im Kopf“, redete ich mir also gut zu, „Und das Geklapper von einer mit rosaroten Augen und lila Mund soll man sowieso nicht für voll nehmen, schon gar nicht, wenn sie barfuß beim Schuster sitzt.“ Trotzdem war ich froh, als der Schuster: „Meine Damen! Ihre Schuhe sind fertig!“ rief.

(Thema. Was einem so einfallen kann)

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