Die Steinbraut hat ein Kind

Die Steinbraut hat ein Kind // Gekriegt // Auf die Leinwand ist es gefallen ohne ein Laut, der // Es // Verraten hätt: Ich bin da // Wo du: Dort bist. Auf der anderen Seite bist du und dein Hand und dein Fuß // Das Steinbrautkind spricht nicht und hat keine Füß // Ehrlich // Doch schwebt es // Im Stand // Auf der Leinwand gestorben lebendig // Spricht nicht hinein in den Wink // Den es nicht gibt, nicht im Aufspann, nur im Blick der Hand- und der Fußlinge // Ein runder Rücken lädt ein oder nicht // Mich schon, sagt die Dame mit Kunstblumenhut und weint ein wenig // O Yeah, singt ein // Kind // sein Gamegirl zwischen sich und dem Bild // Da wirft es sich in die schiefe // Ebene direkt davor // Und schaut // Schau mich an // In die Linse, bis der Steinbraut // Bis ein Kiesel oder ein Wacker // Da fällt der Steinbraut ein Stein aus dem Leib
bess - 30. Jun, 13:00

das singt

Andrea,
auch hier, weil ich es wieder und wieder lese, eine kurze Replik, mehr, dass Du weißt, dass es ein Wiederlestext ist, der ankommt - als wegen einer wirklichen Besprechung.
Abgesehen von den grammatischen Unklarheiten (ein Haut, dein Hand) bin ich so angesprochen. Wie da Bilder entstehen. Wie da Sprache "malt", diese Sätze:
Die Steinbraut hat ein Kind // Gekriegt //
und
Sprich nicht hinein in den Wink // Den es nicht gibt
und
Und schaut // chau mich an // In die Linse, bis der Steinbraut // Bis ein Kiesel oder ein Wacker // Da fällt der Steinbraut ein Stein aus dem Leib

Ja, "Da fällt der Steinbraut ein Stein aus dem Leib", ich glaube, ich weiß, wer in meinem Gefühl die Steinbraut ist.

Mach weiter!
Sonntagsgruß, Bess

ahg - 2. Jul, 09:00

danke, bess

für deine ermutingenden worte!

liebe grüße
andrea (schwer beschäftigt - allerdings mit vollkommen unkünstlerischen dingen! ;))
ahg - 2. Jul, 19:16

Vielen Dank, Rivka, für deine Textinterpretation!

Hier Rivkas Interpretation:

Was mir als Erstes zu diesem Text eingefallen ist, ist Zitat:
der Sinn für "das enigmatisch−elitäre Moment des eigentlich Ästhetischen"

( DIE ZEIT, Zu den Schriften Karl Heinz Bohrers)


Das Zweite war, dass ich gar nicht weiss, wie man sich einem so vollkommenen Rätsel annähern soll, will sagen: wie ich das tun könnte, ich weiss (leider) nur, dass mit einer Fehl-Interpretation ich den Text nicht blamieren kann, höchstens mich selbst.

Also doch lieber Eindrücke, unverbindlichere; ich nehme mir einen Freiraum, den mir der Text wahrscheinlich nicht gibt, und stelle fest: eine Steinbraut gibt es nicht. Bekannt ist Aello, die Windsbraut, eine der Harpyen war sie, die Menschen in die Unterwelt entführte, auch einer der Hunde des Jägers Aktaion, von denen er zerrissen wurde.

Auch die Steinbraut verheisst nichts Gutes, zumindest kein Entkommen, denn dem Text sitzt man auf wie einem Ringelspiel, kaum glaubt man, ihm mit dem Lesen des letzten Worts entkommen zu sein, schon schliesst sich wieder das erste an:
"Da fällt der Steinbraut ein Stein aus dem Leib" // "Die Steinbraut hat ein Kind // Gekriegt //".

Da geht einem ein Mühlrad im Kopf herum, das erinnert an das fruchtlose Kreisen der Gedanken in der Depression, fruchtlos? Aber die Steinbraut hat doch ein Kind gekriegt, ohne ein Laut, was noch viel erschreckend stiller ist als ohne einen Laut zu fallen, ohne Einläuten auch (ohne Einlaut) und es ist auf eine Leinwand gefallen, zunächst denke ich an ein Leintuch, in das ja Frauen Kinder gebären gewöhnlich, aber nein, es ist eine Wand, eine Leinwand, eine Bildoberfläche?

"Ich bin da // Wo du: Dort bist." Hätte der Laut das gesagt, der das Steinkind verraten hätte? Dass es einen Standpunktwechsel geben kann, einen Blickwechsel zwischen Steinkind und Steinbraut von der Perspektive des Bildes aus? Auf der anderen Seite, also vor dem Bild, das sie geschaffen hat, steht die Steinbraut, hat Hand und Fuss im Gegensatz zum Steinbrautkind, das keine Füsse hat, aber dafür schwebt, aufrecht, auf der Leinwand gestorben, lebendig, weil, so verstehe ich es, das (Kunst)Werk, das Steinbrautkind, sich von der (Kunst)Schöpferin, der Steinbraut gelöst hat, ihr wegggestorben ist von der Idee in die Form hinein, die aber nun ihre eigene Lebendigkeit erreicht, nicht eine, die "Hand und Fuss" hat, die also vergleichsweise materieller und schwerfälliger ist oder gar zurückbleibt wie die Steinbraut, sondern eine aufrechte, schwebende Lebendigkeit.
Es spricht nicht hinein in den Wink, den es nicht gibt im Aufspann, aber was ist der Aufspann? Das lässt natürlich zuerst an Leinwand denken, aber wird Leinwand nicht vor dem Malen aufgespannt? Auch an den Aufspann auf der Kinoleinwand denkt man (oder ich wenigstens), da fällt mir die berühmte Ausstellungseröffnungsrede ein, der Aufspann zur Präsentation des Steinbrautkinds dem Publikum, und diese Rede vermittelt zumeist in der Tat keinen Wink, lohnt keine Einrede, das Kunstwerk kann der professionellen Rezeption gar keine Einrede entgegenstellen, ist es doch gar kein Gegen-Stand, sondern ein Fusslos-Schwebendes.
Einen Wink, einen Hinweis auf eine Wahr-Nehmung des Steinbrautkinds gibt es höchstens aus dem Publikum, Hand- und Fusslinge sind sie wie die Steinbraut, man sieht einen einladend gerundeten Rücken, jemand beugt sich, betrachtet näher, und eine Dame im Kunstblumenhut, ist das nun der Hut, den sie für die Kunstausstellung trägt oder ein Hut mit künstlichen Blumen, oder künstlerischen Blumen, mich schon, sagt sie, vielleicht hat jemand gefragt, ob sie das Steinbrautkind anspräche.

Ein richtiges Kind ist auch auf der Ausstellung, mit einem Gamegirl, ist ein Computerspiel gemeint oder ein Mädchen, mit dem es spielt, man weiss es nicht, gibt es da überhaupt einen Unterschied? jedenfalls befindet sich das Gamegirl zwischen dem Kind und dem Bild, und jetzt findet man das Kind (welches Kind? Der Zuweis einer Einzelzeile lässt die Antwort offen, ob das Kind der Steinbraut oder das Kind mit dem Gamegirl gemeint ist), das Gamegirl und das Bild in einem Satz "O Yeah, singt ein // Kind // sein Gamegirl zwischen sich und dem Bild // " wenn auch in drei Zeilen zusammengebunden, was die Zuordnung des folgenden "es" schwierig macht: "Da wirft es sich in die schiefe // Ebene direkt davor // Und schaut // Schau mich an // In die Linse..." aber ist eine Ebene, in die man sich hineinwerfen kann, nicht nur zu denken aus der Perspektive des Steinbrautkindes heraus, das sich also vor die Linse drängt, eigentlich damit erst einen Platz an der Öffentlichkeit erreicht hat, ver-öffentlicht worden ist, und der Steinbraut fällt kein Stein vom Herzen sondern ein Wacker aus dem Leib, ein Kiesel, egal, ein Stein jedenfalls, und der Kreislauf Kreation-Veröffentlichung-Kreation beginnt von vorn: Die Steinbraut hat ein Kind gekriegt...wobei die Motive der Geburt, des Versteinerns und der zirkulären, kommunkationsfreien oder kommunkationsgestörten Abgeschiedenheit, des Auf-der-anderen-Seite-Lebendigseins klar machen, dass dieser Zirkel der (selbst erfolgreichen) Kreation kein frischfröhlich sebstverständlicher ist.

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