Dienstag, 29. August 2006

Sturmschaden

Kurz bevor dem toskanischen Terracotta-Engelchen, das aus einem reich blühenden Rosenbusch herausragte, der seinerseits aus dem Zentrum einer zu einer Schnecke gewundenen Buchsbaumhecke in die Höhe strebte, ein Terrakotta-Flügelchen wie vorgesehen abbrach, kam heftiger Wind auf.
„Da spielen wir den Hurrikan drunter!“, rief Stratmann, der das Geschehen sowieso am liebsten nach Florida verlegt hätte, weil er am liebsten weit ab vom Schuss arbeitete und weil ihm unter Palmen immer die besten Ideen kamen – auch und gerade, wenn es um einen Film über die Heimat ging. „In der Abwesenheit ist die Anwesenheit immer am deutlichsten!“, hatte er auch mehrfach versucht, seinen Florida-Wunsch den Geldgebern gegenüber zu untermauern, aber seine Reden hatten kein Gehör gefunden, sie waren an den wie Pistolen gezückten Brieftaschen, Kredit- und Visitenkärtchen derer zerbrochen, die das Sagen hatten (wie schlecht gebrannte Terrakotta-Flügelchen zerbrachen sie, könnte man sagen und damit für ein wenig exklusives Flair sorgen, wie man es beispielsweise in einem der führenden Wiener Gartengeschäfte direkt am Ring kaufen kann). So musste er auf den Flug nach Florida verzichten und sich mit seinen mittelmäßigen, in der Heimat geborenen Heimatideen begnügen. Zum Beispiel dem akustischen Florida-Hurrikan, den sowieso keiner bemerken würde.

Natürlich sollte der Heimatfilm keine zuckerlrosa Sache werden, die Geldgeber waren schließlich keine Hinterwäldler und wollten als Mäzene und nicht als Geldgeber auftreten, dennoch forderten sie, dass sich der Film durch ein – trotz allem – vorsichtig zu bejahendes Ende auszeichnen sollte: „Perspektive, mein Lieber, vergessen Sie bei aller Kunst nicht die Perspektive! Wir sind ja nicht nur ein Kunst-, sondern auch ein Tourismusland und irgendwer muss euch Künstler ja auch bezahlen!“

„Ich bin doch nicht ihr Heinzi!“, erboste sich Stratmann an einem der Künstlerstammtische, an denen er seine Abende verbrachte, deshalb warf er sich mit dem Drehbuchschreiber, wie man in Wien sagt: auf ein Packl, was gar nicht schwer war, denn der Drehbuchschreiber fühlte sich sowieso chronisch unterbewertet, was ihn zu einem willigen Objekt Stratmanns machte.

Der so unter Federführung Stratmanns gemeinschaftlich entworfene Film spielte zu Beginn in Wien, weil Wien die Hauptstadt ist und weil das Urbane als Heimat einfach in den Film hinein musste. Der Regisseur war schließlich ebenso wenig provinziell wie seine Geldgeber, auch wenn sie ihn nicht nach Florida fahren ließen. Nach etlichen, fahrig wirkenden Schwenks über die Fassaden von Gründerzeithäusern und die Ringstraßengebäude fand die Kamera endlich, was sie gesucht zu haben schien, die Wiener Börse. Großaufnahme von der Station des D-Wagens aus. Wie ein Versehen sollte es wirken (Stratmann notierte sich, diesen Punkt noch einmal mit dem Cutter zu besprechen, noch wirkte der Schwenk zu gewollt!), dass der Kamera- und damit der Zuseherblick nach rechts unten und ums Eck rutschte, sodass jenes, bereits erwähnte Gartengeschäft im Keller der Börse ins Bild kam.
„Genial, genial!“, rief der Drehbuchschreiber, der sehr schnell zu Stratmanns Freund geworden war, und entzückte sich an der Subversivität des Gemeinschaftsprojekts. Aufreizend langsam folgten nun Bilder aus dem Inneren des Gartengeschäftes, wobei nicht nur die Pflanzen, sondern auch die ebenso exquisiten Einkaufspersonen, die zwischen den hübsch drapierten Blumentöpfen und Gartengestaltungsobjekten umhergingen, ins Bild kamen. Einige der Einkaufspersonen waren natürlich von Stratmann eingeschleust und mit bestimmten Verhaltensanweisungen versehen worden, und eine von ihnen kaufte am Ende der Sequenz jenen toskanischen Terrakotta-Engel, dessen Flügel im weiteren Verlauf zerbrechen musste. Die Kamera heftete sich nun der Terrakotta-Einkaufsperson den ganzen Weg bis zu ihrem, von Stratmann angemieteten Landhaus an die Fersen. Im Kofferraum ihres ebenfalls extra angemieteten Jeeps fanden sich übrigens auch noch ein paar Töpfe mit Hortensien (mit großen rosa und blauen Blütenkugeln), wie sie seit einigen Jahren die Oleander als Garten-Must abgelöst hatten. Das wusste Stratmann, weil er selbst einen kleinen Garten in der Nähe Wiens besaß, wenn er auch seit längerer Zeit nicht mehr dort gewesen war. Nach der enthusiastischen Anfangszeit, aus der er sein Gartenwissen bezog, war nämlich eine gewisse Ernüchterung eingetreten, die wohl auch damit zu tun hatte, dass sein Garten wie auch das Häuschen ziemlich heruntergekommen waren und es ihm an Geld und Freude an der Gartenarbeit wie auch an einem wie auch immer gearteten Renovierungsimpetus fehlte.

Die Geldgeber waren, als sie die Endfassung des Films vorgeführt bekamen, sehr zufrieden mit dem Ergebnis, auch der unter tosendem Sturm brechende Engelsflügel (natürlich merkte niemand, dass er einen Florida-Hurrikan hörte) wurde goutiert, wenngleich einer der Zuseher anmerkte, dass der Flügel nicht von selbst brechen, sondern dass ein vom Sturm abgerissener Ast auf den Engelsflügel fallen sollte. Schließlich würde der Film ja nicht den Eindruck erwecken wollen, dass die in jenem, doch sehr bekannten Wiener Innenstadt-Gartengeschäft erstandenen Objekte nicht sturmsicher seien. Praktisch allen gefielen die Gartenaufnahmen, die auch den Charme des Unperfekten zu versprühen wussten, indem sie beispielsweise Bretterstapel und Brennnesselstauden zwischen Haufen von Dachziegelbruchstücken dezent ins Bild setzten. Mit der Auswahl der Interviewpartner und dem, das sie – in ihren Gärten stehend – über ihre Heimat sagten, war man zufrieden, besonders positiv wurde dann aber das Filmende aufgenommen, wo in der Art eines Daumenkinos und mit dem Geräusch einer zurücklaufenden Tonspule unterlegt Standbilder aus allen Passagen des Films in chronologisch zurücklaufender Abfolge zu sehen waren, sodass der Film mit Oper, Museen, Parlament, Burgtheater, Universität und schließlich einigen Jahrhundertwende-Hausfassaden aufhörte.

Später, am Künstlerstammtisch und beim ersten Viertel Wachauer Riesling, verdrehte Stratmann die Augen, sprach er von der Kleinmütigkeit der Geldgeber und von der schweren Last, die er als Künstler zu tragen habe, weil es ihm an richtiger Resonanz fehle. Weil sich diese Geldmenschen doch einen Scheißdreck für den Film interessierten, als Film nämlich, wobei er das Wort „Film“ betonte. Ja er rief dieses Wort aus, als ob das Wort bereits alles sagte, das sich zu diesem Thema sagen ließ. Der Drehbuchautor stimmte ihm ohne jede Einschränkung zu. Die Geldgeber saßen derweilen auf der Terrasse eines großen, aufwändig renovierten Bauernhofes und schwadronierten über das Seelenleben dieser komplizieren Künstler, die letztlich arme Hunde seien. Weil sie zu den ebenso einfachsten wie umwerfendsten Gefühlen wie jenen, die sich einstellten, wenn man den Blick über die Hügel schweifen ließe, nicht in der Lage seien. Weswegen sie, auch darin war man sich einig, die Sache der Heimat am glaubwürdigsten vertreten könnten. „Nur wer die Sehnsucht kennt, ...“, hob Einer zu zitieren an. Man nickte in die darauf folgende Stille und bevor dem Mahl zugesprochen wurde, genoss man noch kurz den Anblick der vom rosa Abendlicht beschienenen Wolkenränder. Unten auf der Terrasse war es so gut wie windstill, weiter oben schien es jedoch ziemlich stürmisch zuzugehen, denn die Umrisse der Wolken veränderten sich rasch und ohne ein einziges Innehalten, was, wie betont werden muss, ein Zufall war. Wie es auch ein Zufall war, respektive der Schwächung des großen Kastanienbaumes durch das Wirken der Miniermotte zuzuschreiben ist, dass einer der Hauptäste im schlagartig nun auch auf der Erde einsetzenden Sturm abbrach und das mit Originalziegeln neu eingedeckte Dach des Bauernhofes durchschlug. Die zwischen Lavendelpolster gebettete Terracotta-Kugel, die sich der Bauernhofbesitzer aus einem Italienurlaub mitgebracht hatte, blieb – als ob ein Schutzengel sie behütet hätte – ebenso unversehrt wie die gesellige Runde auf der Terrasse. Vorzugsweise aus letzterem Grund endete dieses Ereignis, als der Schreck abgeklungen war, unter dem Titel „Sturmschaden“ als Versicherungsfall. Weil aber Geld abergläubisch macht und man auch Schutzengel nicht überstrapazieren soll und weil ohnehin der Winter vor der Tür stand, beschlossen die Geldgeber, Stratmanns Film zumindest vorläufig auf Eis zu legen.

(Thema: Naturalie)

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